Maria, mein Herz

 

Wieder eine schlaflose Nacht, in der ich sinnlos durch Netz surfe. So viele herrenlose Hunde auf den Tierschutzseiten, hoffentlich können die gerade friedlich schlafen. Ein Gesicht schaut mir direkt ins Herz. Was für ein seltsamer Hund, was für ein schönes Gesicht und welch wunderbarer Name.

 

 

Maria, ein Notfall.

Sie hat Leishmaniose und Ehrlichiose.

 

 

Ich erwische mich immer wieder, dass ich auf dieser Seite lande und mir das Mariechen anschaue. Sie lässt mich nicht los.

 

 

Ich ertappe mich bei dem Gedanken, wie es wäre, diesen Hund aufzunehmen . Ich muss verrückt sein. Ich kenne diesen Hund nicht, sie ist krank, war ein Straßenhund, bestimmt völlig unberechenbar.....

Meine Freunde tippen sich an die Stirn.

Dennoch, etwas treibt mich an .

 

Schon oft habe ich gedacht, würde jeder Mensch sich nur ganz etwas sozial engagieren, sähe unsere Welt besser aus. Ich könnte diesen Hund doch kennen lernen, ihn mir zumindest mal anschauen. So greife ich zum Hörer und rufe an.

 

Maria ist ein ganz sanftes Wesen, deshalb trägt sie diesen Namen. Sie wird von den anderen Hunden gemoppt, deshalb muss sie oft im Toilettenhaus eingesperrt werden zu ihrer eigenen Sicherheit.

Leider gibt es da noch ein Problem, Maria ist in Griechenland, in Athen....

 

Das wars denn wohl . So blöd bin noch nicht mal ich, einen Hund zu holen, den ich nicht kenne und nicht kennen lernen kann. Meine Freunde pflichten mir bei, lass die Finger davon.

Ich surfe schlaflos durch die Nächte und lande immer wieder auf dieser Seite. Der Hund schaut mir direkt ins Herz.

 

 

Maria, mein Notfall.

 

Ich wünsche mir drei Zeichen, dass ich diesen Hund zu mir nehmen soll. Auf dem Flohmarkt sehe ich ein kleines Nilpferd aus Filz, welches einem Shar Pei sehr ähnlich sieht. Als ich es wieder hinstellen will , schenkt die Frau mir das Tierchen.

Ich stelle den Fernseher an und gerade läuft der Film Maria und Maria. Im Radio spielen sie das AVE MARIA.

 

Nach Wochen greife ich zum Hörer. Holt sie rüber.

 

Dienstag abends , die Kundin kommt eine Stunde zu spät, in einer halben Stunde haben Silke und ich Feierabend. Wir haben gute Laune , Hund rauf auf den Tisch und runter mit dem Fell.

Es ist 18.45 Uhr. Das Telefon klingelt.

Wir haben kurzfristig einen Flugpaten gefunden, können Sie Maria morgen früh um 6.00 Uhr in Frankfurt Flughafen abholen ?

Öh, äh, also.....so schnell und so früh und.... ich weiß auch nicht....wo ist mein Kopf....

Wir wissen nicht, wann wir wieder einen Paten finden, ich dachte, ich rufe sie einfach an. Ich bin völlig überfordert und weiß gar nicht, wie mir ist und was ich machen soll.

 

 

Frankfurt ist über 500 km entfernt, der Terminkalender für morgen voll. Ich renne stotternd von einer Ecke in die andere, den Hörer am Ohr und rede sinnfreies Zeugs. Silke grinst mich an. Mach es, ich komme mit.

Meine Freundin Silke.

Wir verlegen die Vormittagstermine. Um Mitternacht wollen wir losfahren. Natürlich kann ich nicht schlafen bis dahin. Stattdessen nage ich die Tapeten an. Ich packe meine Tochter ein ( Schulschwänzer ), hole Silke ab. Ich bin die ganze Strecke gefahren, da Silke schon nach einer halben Stunde schwächelte.

Um kurz nach 5.oo Uhr sind wir da.

Frankfurt Flughafen ist für ein Landei die Hölle ! Wir finden in diesem futuristischem Durcheinander sogar irgendwann das Gate.

 

Da steht eine Frau mit einer Transportbox und darin hockt das elendeste Geschöpf, das ich je gesehen habe. Heraus gekrochen kommt ein winziges Wesen, abgemagert bis auf die Knochen. Das kaum noch vorhandene Fell ausgetrocknet wie Stroh, ausgedörrt von der Sonne Griechenlands. Der Körper voller alter Bisswunden, tiefe Narben, schwarze runzelige Haut, tote erloschene Augen.

Die hat schon aufgegeben, die lebt eigentlich gar nicht mehr. Sie hat keinerlei Ähnlichkeit mit dem Hund aus dem Internet. Völlig fassungslos starren wir auf dieses Unwesen. Die Frau aus dem Tierschutz ist genauso fassungslos.

 

Wollen Sie sie mitnehmen ?

Ja selbstverständlich, ich hatte eine Entscheidung getroffen. Nicht eine Sekunde kam mir der Gedanke, sie nicht zu nehmen.

 

Gut, wir telefonieren. Während wir die Papiere unterschreiben, geht Silke mit Maria Pipi. Teilnahmslos humpelt Maria mit. Sie hat eine noch nicht verheilte Wunde am Bein, sieht schlimm aus, dick angeschwollen.

 

Auf dem Weg zum Auto bleiben die Leute mit offenem Mund stehen. Maria sieht so erbärmlich aus, räudige Töle . Sie humpelt teilnahmslos hinter uns her. Zeitweise muss ich sie tragen, weil sie nicht mehr kann. Sie atmet sehr schwer, Ihr Bauch bewegt sich wie ein Blasebalg. Im Fahrstuhl weichen die Menschen an die Wand aus.

 

 

Wir wickeln Maria in Decken, meine Tochter wickelt sich um Maria.

 

Auf den Rasthöfen bin ich froh, dass unser Auto den Aufdruck Tierheilpraxis trägt. So bleiben die Leute nur kurz ungläubig stehen und gehen dann weiter.

 

Maria drückt ihre dicke Schnauze ins feuchte Gras. Sie lebt doch ! Dort bekommen wir sie kaum weg und so lassen wir ihr die Zeit, frisches Gras zu genießen. Sie saugt den erdigen, feuchten Geruch tief ein. Es rührt mich, ich muss schlucken.

Es ist Ende Mai. Ich fahre die ganze Strecke zurück, da Silke zu müde ist. In mir wirbelt es.

 

Um 13.30 Uhr bin ich zuhause. Duschen, was essen, umziehen, zur Arbeit. Um 15.00 Uhr muss die Praxis wieder auf. Meine Tochter hütet Maria.

 

Zum Glück haben wir nur Hunde, deren Besitzer sie abliefern. So arbeiten wir zu zweit an einem Hund. Ich schlafe zeitweise am Schertisch ein. Bin inzwischen 34 Stunden wach. Um 19.00 Uhr haben wir noch eine Dienstbesprechung..... Ich muss dabei gewesen sein, kann mich aber nicht daran erinnern.

 

Zuhause klingelt gleich das Telefon. Die Frau von der Tierschutzorga. Wenn wir nicht am Flughafen gewesen wären, hätte sie den Hund nicht raus gegeben. In 8 Jahren ihrer Arbeit im Tierschutz wäre ein Hund in diesem Zustand noch nie rüber gekommen und hätte auch nicht rüberkommen dürfen. Sie wäre froh, dass der Hund den Flug überhaupt überstanden hätte. Sie könnte verstehen, wenn ich Maria zurückgeben würde. Sie sichert mir finanzielle Unterstützung zu.

 

Nach über 40 Stunden falle ich totmüde ins Bett. Maria schläft die ganze Zeit oder stellt sich tot.

 

Nächster Tag. Maria sitzt am Terrassenfenster und schaut in den Wald. Dieser Hund sitzt regungslos und schaut raus.

Es ist Frühling.

Im Garten bekommt sie die Nase nicht aus dem Rasen. Maria staunt.

 

Meine Chefin fällt fast in Ohnmacht, als sie Maria sieht. Diesen Hund kann ich nicht mit zur Arbeit nehmen, er ist in einem zu katastrophalem Zustand. Die Kunden würden ausbleiben. Macht auch nichts, Maria schläft den ganzen Vormittag und den ganzen Nachmittag. Sie benötigt Medikamente, um die Lleishmaniose in Schach zu halten.

 

Ernste Blicke beim Tierarzt. Die Blutwerte aus Griechenland vom Februar sind durchaus ok.......

Maria frisst gut, nimmt aber nicht zu. Sie wird wacher. Bald humpelt sie kaum noch. Ihr ranziger Geruch lässt nach. Nach kurzer Zeit versucht sie nicht mehr wegzulaufen. Schnell folgt sie mir überall hin. Sie hat so ein sanftes Wesen, ich liebe diesen Hund. Da ist eine ganz starke Verbindung. Bald zeigt sie die ersten Anzeichen von Lebensfreude.

Mein Herz hüpft.

 

Das Fell wird etwas besser. Aber so richtig gut wird’s nicht. Die Atmung ist furchtbar, sie zieht nach Luft.

 

Ich nehme Maria überall mit hin, zeige ihr die Welt. Die Blicke der Leute sehe ich längst nicht mehr. Auch Karlas ernsten Blick nehme ich nicht wahr. Karla ist eine Hexe, sie kann in die Seele schauen.

 

Maria spielt, Maria hüpft, Maria kann rennen, buckeln, springen.

Wir tanzen.

Es ist Frühling.

 

Ich bin glücklich, dieser Hund rührt mein Herz, ich liebe sie so sehr.

 

 

Und als ich denke, alles wird gut, wir schaffen das, bricht das System zusammen. Durchfall, gelb, schleimig, aufgeschäumt, übel riechend.

Alle Medikamente werden abgesetzt. Die Medis gegen die Leishmaniose gehen stark auf die Leber und die Nieren. Auch die vielen Antibiotika gegen die Ehrlichiose haben sie geschwächt. Sie bekommt wieder Antibiotika, Mittel für den Magen, aufbauende Präparate.

Es wird besser, Hoffnung. Aber es ist ein Kreis. Sobald sie kein Antibiotika bekommt, bricht sie komplett zusammen. Nur die Chemie hält sie am Leben.

 

Großes Blutbild, ernste Gesichter in der Praxis. Wenn ich mit Maria erscheine, kommt das ganze Team zusammen. Sie mögen Maria alle sehr gern. Noch nie hatten sie einen so sanften Hund.

 

Maria wirkt so wissend....wie eine ganz alte Seele.

 

Sie sind sehr betroffen. Die Ärztin hatte noch nie so ein schlechtes Blutbild. Die Werte sind grottenschlecht. Es gibt kein Organ im Körper, was noch intakt ist. Der Titer der Ehrlichiose grenzt ins Uferlose.

 

Ich weine, ich blute.

Das darf nicht, ich will das nicht.

Ich schreie, ich kann nichts tun.

Es ist so, wie es ist. Ich setzte alle Medikamente ab.

 

Karla hatte den Tod schon gesehen, da war ich noch geschwebt. Karla war mir später eine große Hilfe. Karla kann mit Tieren sprechen..... Ach Karla, ich danke dir für die liebevollen Worte, die du mir von Maria übermittelt hast .

 

Maria, mein Herz.

 

Wir liegen mit Maria unterm Sonnenschirm im Garten, wir haben eine schöne Zeit. Sie wird mir zeigen, wann sie gehen will. Als es ihr mal wieder richtig schlecht geht und ich denke, dieses Wochenende ist es soweit, fliegt sie mir nach Feierabend entgegen, wie noch nie. Ok, mein Schatz, noch nicht.

 

Irgendwann wusste mein Herz, nun muss es sein. An diesem Abend kam Maria hoch und wollte in mein Bett. Sie schlief sonst immer unten. Sie legte sich zu mir ans Kopfende und drückte sich an mich. Sogar Molly legte sich still an Maria. Molly , die Maria sonst immer gemieden hat.

 

Am nächsten Tag waren die Wolken rosa....... ich schwöre.

 

Maria hielt der Ärztin die Pfote hin. Diese warf mir einen langen Blick zu. Es war ein mystischer Moment. Marias Herz blieb bei der ersten Spritze stehen, sie benötigte keine zweite.

 

Maria wurde mir vom Himmel geschickt, eigentlich hätte dieses sanfte Wesen Flügel tragen müssen. Vielleicht trug sie die Flügel innenseitig.

 

Sie lebte dreieinhalb Monate mit mir, für die ich unendlich dankbar bin.

 

Auf dem Flohmarkt kaufte ich einen alten Zuckertopf, in dem ich ihre Asche aufbewahre.

 

Wochen später habe ich einen Kursus in Tierkommunikation belegt. Auf einer schamanischen Reise, tief unter der Erde ,begegnete mir Maria in einem weißen Pferd mit Flügeln.

Nun weiß ich, es war wirklich der richtige Moment , sie gehen zu lassen.

 

Maria, mein Herz, ich denke so gerne und in Freude an dich.

 

Danach wurde meine Lebensweise spiritueller. Ich hatte viele neue Sichtweisen erfahren, ich hatte eine gute Lehrerin.

 

Maria, mein Herz.

 

Maria war ein Anfang. Danach kamen Csiny, Lilly, Rosalie, Szamo , Betty, Rudi, Hugo und Tiffy.

 

 

Milka, Pan und Püppi blieben.

Von Anfang an in guten Händen
Von Anfang an in guten Händen